- Treuhandanstalt und ökonomischer Wandel in den neuen Bundesländern
- Treuhandanstalt und ökonomischer Wandel in den neuen BundesländernIm Prozess der Transformation der zentralgelenkten Staatswirtschaft der DDR in eine Marktwirtschaft nach westdeutschem Vorbild hatte die Treuhandanstalt eine politische und ökonomische Schlüsselstellung. Sie diente als Hauptinstrument für den marktwirtschaftlichen Neubeginn in Ostdeutschland. Die Leitlinie ihres Transformationsauftrages wurde ihr vom ersten in der DDR freigewählten Parlament vorgegeben. Detlev Carsten Rohwedder, der zweite Präsident der Treuhandanstalt, welcher nach knapp sieben Monaten Amtszeit am 1. April 1991 einem terroristischen Mordanschlag zum Opfer fiel, formulierte sie wie folgt: »Zügig privatisieren, entschlossen sanieren und behutsam abwickeln, was nicht mehr sanierungsfähig ist.« Die Treuhandanstalt wurde in der ersten Phase 1990/91 zum Zwischeneigentümer von rund 8 000 ehemals staatseigenen Betriebsvereinigungen (Kombinaten) und »Volkseigenen Betrieben« mit mehr als 40 000 Betriebsstätten und 4 Millionen Beschäftigten. Durch die nachfolgende Übernahme von mehr als 4 400 sozialistischen Land- und Forstwirtschaftsbetrieben gingen dann rund 4,3 Millionen Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche und Forsten in den Treuhandbesitz über. Unter den zuletzt übernommenen Vermögenswerten befanden sich u. a. auch diejenigen Objekte, welche bis dahin durch die Streitkräfte, das Ministerium für Staatssicherheit, die SED und die sozialistischen Massenorganisationen (darunter die Staatsgewerkschaft FDGB) genutzt wurden. Die Vielfalt des Vermögensbesitzes der Treuhandanstalt reichte demnach von den Werften an der Ostsee über die Chemiekombinate im Inland bis zu den Befehlsbunkern und Erholungsheimen der Stasi. Der gesamte Grundbesitz der Treuhandanstalt umfasste bei seinem Höchststand fast 60 % der Fläche der ehemaligen DDR. Für die Transformation der Eigentums- und Wirtschaftsordnung einer ganzen Volkswirtschaft gab es keine maßgeschneiderte Theorie und keine erprobten Rezepte. Infolgedessen musste sich die Treuhandanstalt die benötigten Leitbilder und Regeln selbst schaffen. Dies ging vor allem in den Anfangsjahren im Einzelfall nicht ohne schmerzliche Fehler ab. Während ihrer gesamten viereinhalbjährigen Tätigkeit hatte die Privatisierung in der Transformationsstrategie der Treuhand stets die höchste Priorität. Grob geschätzt mussten durch den Privatisierungs- und Sanierungsprozess von den ursprünglich 4 Millionen Beschäftigten im »Wirtschaftsimperium« der Treuhand rund die Hälfte frei- und umgesetzt werden. Für 17-20 % dieser Personen konnte kein neuer Arbeitsplatz gefunden werden. Sie wurden arbeitslos. Die übrigen Arbeitnehmer gingen entweder selber neue Arbeitsverhältnisse ein, machten sich selbstständig, wurden umgeschult, fanden eine vorübergehende (Überbrückungs-)Beschäftigung in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen oder schieden aus dem Erwerbsleben aus (Vorruhestand/Ruhestand). Diese schmerzlichen Frei- und Umsetzungen haben der Treuhand viel Kritik eingetragen. Vor allem in den neuen Bundesländern wurde ihr der Vorwurf gemacht, die ostdeutsche Wirtschaft rigoros »plattzumachen« und statt Aufbauarbeit zu leisten, eine Deindustrialisierung der neuen Bundesländer zu begünstigen. Demgegenüber wurde die Treuhand von westdeutschen Bürgern häufig gescholten, sie verschwende knappe westdeutsche Steuergroschen an unrettbar sieche Ostfirmen und an neue Bundesbürger, die im Sozialismus hartes Arbeiten verlernt hätten. Bei der Kritik aus dem Osten wurde zumeist ignoriert, dass es schon zu DDR-Zeiten eine beträchtliche »verdeckte Arbeitslosigkeit« gab. Diese erstreckte sich auf etwa ein Viertel aller berufstätigen Arbeiter und Angestellten (»Arbeitslosigkeit am Arbeitsplatz«). Demgegenüber wurde im Westen nicht angemessen berücksichtigt, dass für die ostdeutschen Unternehmen, die der SED-Staat 40 Jahre lang vom internationalen Wettbewerb abgeschottet hatte, praktisch über Nacht sowohl die Westmärkte wegbrachen als auch die Ostmärkte zusammenstürzten. Eine Kompensation für den Verlust dieser Absatzmärkte durch eine umfassende Modernisierung der Produktionskapazitäten und durch eine Anpassung der Unternehmensleistungen an die neuen harten Wettbewerbsbedingungen des Weltmarktes beansprucht auf dem heutigen Entwicklungsniveau der führenden Industriewirtschaften Erneuerungs- und Umstrukturierungszeiten von mindestens 5 bis 10 Jahren. Doch im Osten Deutschlands blieb es trotz der heftigen Proteste gegen unvermeidbare Massenentlassungen friedlich. Die Treuhandanstalt hat Ende 1994 nach viereinhalb Jahren Arbeit, die nach der Ermordung Rohwedders von der Präsidentin Birgit Breuel geleitet wurde, ihre Kernaufgabe abgeschlossen. Sie wurde danach aufgelöst und ihre Restaufgaben auf vier kleinere staatliche Nachfolgeinstitutionen aufgeteilt. Während ihrer Tätigkeit hat die Behörde 85 000 Verträge abgeschlossen (darunter fast 40 000 unternehmensbezogene Privatisierungsverträge). Bis zum 31. Dezember 1994 gelang es ihr, insgesamt rund 14 500 Unternehmen und Betriebsteile zu verkaufen. Dabei handelte es sich in der Regel nicht um En-bloc-Verkäufe ehemaliger Kombinate oder VEB nach DDR-Maßstab, sondern um neu zugeschnittene Betriebseinheiten, die durch Entflechtung der alten Mammut-Kombinate und -Betriebe neu gebildet worden waren. Rund 850 Wirtschaftsbetriebe gingen in den Besitz ausländischer Investoren über. Rund 80 % der verkauften Unternehmen übernahmen mittelständische Erwerber. Etwa 3 700 Betriebe/Gesellschaften (darunter 1 000 Rest- und Mantelgesellschaften) mussten aufgegeben und stillgelegt werden (Liquidationen). Getrennt davon wurden weitere rund 4 300 mittlere Gewerbe- und Handwerksbetriebe, die der SED-Staat bei seiner letzten »Sozialisierungskampagne« 1972 übernommen hatte, den rechtmäßigen ehemaligen Eigentümern zurückgegeben (Reprivatisierungen). Insgesamt erhielt die Treuhand Privatisierungserlöse von 73 Mrd. DM. Viel wichtiger war jedoch, dass sie Investitionszusagen in einer Höhe von 207 Mrd. DM verbuchen und Arbeitsplatzzusagen für 1,5 Millionen Arbeitnehmer erzielen konnte. Als ein besonderer Erfolg der Treuhandarbeit muss dabei gewertet werden, dass nach statistischen Ermittlungen etwa 15 % mehr Arbeitsplätze geschaffen wurden, als zugesagt worden waren. Darüber hinaus übertreffen auch die tatsächlich investierten Summen um etwa 20 % das vertraglich vereinbarte Soll. Das Gesamtdefizit der Treuhandanstalt für alle nicht durch Einnahmen gedeckten finanziellen Beistandsleistungen (Sanierungen, Übernahme von Altlasten, Überbrückungssubventionen, Investitionshilfen, soziale Abfindungs- und Unterstützungsleistungen für Belegschaften usw.) betrug Ende 1994 etwa 270 Mrd. DM. Dies sind für die Bürger der heute größeren Bundesrepublik einerseits Kosten der Einheit, andererseits sind es tatsächlich jedoch Investitionen in die wirtschaftlich unumgängliche Erneuerung der ostdeutschen Wirtschaft und damit in die Zukunft Deutschlands.
Universal-Lexikon. 2012.